Konservierung der Großreliquie des Seligen Engelmars

 

 

Engelmar EZ Ges VS 1

Gesamtansicht des Altars mit den Gebeinen des Seligen Engelmars im zentralen Schrein.     

 

Objekte:

Großreliquie des Seligen Engelmars mit der gesamten Schreinausstattung inkl. 2 Reliquientableaus

Datierung:

Gesamtkomposition aus dem 18. Jh., unter Verwendung älterer Teile sowie jüngerer Zutaten. Der wohl z.T. bereits bestehende Schrein mit den Gebeinen des Seligen Englmars wurde 1717 in den Hochaltar von 1640 integriert.

Standort:

im Hochaltar der katholischen Pfarrkirche St. Englmar, Kirchplatz 2, 94379 St. Englmar

Materialien:

Grundkonstruktion des Schreins aus Nadelholz mit verglaster Front und farbig marmorierten Außenseiten. Innen mit neuerem, silbrig-grünem Brokatstoff ausgekleidet, "Gloria" Reißzwecken zur Fixierung. Überdeckung der vom Kirchenraum sichtbaren Eckbereiche mit versilberten Holzleisten.

Der Thron zeigt auf der Unterseite des Sitzes Nadelholzleisten, die beschnitzten Teile sind vermutlich aus einem anderen Holz gefertigt, aber nicht einsehbar. Thron vergoldet (Poliment-Blattvergoldung), das Fußkreuz und die Rück- bzw. frontal nicht einsehbaren Innenseiten sind mit Goldbronze eingestrichen, Ziernägel aus Eisen und Messing/teils vergoldet, Bezugstoff mit Petitpoint-Stickerei, verschiedene Seidensamte und 3 unterschiedlich alte Goldborten.

Der Körper besteht aus einem feinporigen Holz, vermutlich Lindenholz. Es wurde aber nicht mikroskopisch analysiert. Bekleidung aus Leinengewebe, dunkelrotem Unterkleid und rotem Moirée-Samt, Goldborten und Stickereien aus Golddraht, -plätt und -lahn.

Überfasste und partiell teilergänzte Knochen mit üppigen Klosterarbeiten auf den Reliquientableaus aus Kartonage, rotem Samt und dem neueren, gelben Stoff. Breite Goldwebborte entlang der Außenkanten (im Bereich der Kartonagen), Eisenschrauben zur Fixierung im Schrein

Klosterarbeiten (Reliquienfassungen, Krone und Palmzweig) aus verschiedenen Metalldrähten, Unterkonstruktion meist aus dickerem Eisendraht, fixierende Drähte aus dünnerem Eisendraht, dickerem Silberdraht oder vergoldetem Messing- oder Kupferdraht, Dekorelemente aus Gold- und Silberlahn, mehrlagigem Papier und Kartonagen zur Formgebung, bunten, durchgefärbten Glassteinen, künstlichen Perlen mit Fischsilber-Überzug, Glasperlen mit Wachsfüllung, grünem (Seiden-)Faden, lachsroter Chenille, Befestigung von Zierelementen mit vermutlich Harz-Wachs-Masse, Goldlahn-Klöppelspitzen, wenigen Halbedelsteinen und einem geschnittenen Stein mit Wappen

Maße:

Der Schrein misst innen 184 cm x 115 cm x 70 cm (H/B/T).

Der selige Engelmar sitzt darin auf einem Thron mit dem Maßen Höhe (Lehnenoberkante) 92 cm, Breite (hinten) ca. 80 cm und der Tiefe (hinten, mit Schrauben & Zulagen) von ca. 56 cm. 

Der Leib misst 149 cm in der Höhe mit Krone, 140 cm ohne Krone, in der Breite (vorne mit Kreuz & Palmzweig) ca. 118 cm und in der Tiefe ca. 71 cm (mit Palmzweig). Erhöht wird er durch ein kleines Podest, auf dem der Thron steht. Es misst 18 cm in der Höhe, ist 92 cm breit und 55 cm tief.

Reliquientableaus

Links: H 171 cm, B 47,5 cm, T 8 cm

Rechts: H 175 cm, B 47,2 cm, T 9 cm

Die Tableaus sind beide mit Karton unterlegt, der ca. 146 cm lang und ca. 47 cm breit ist. Auf diesen Kartons ist in passender Größe ein roter Samt fixiert, der wohl den ursprüngliche Unterstoff für die Reliquien darstellt. Dieser wird heute von dem gelben Stoff überdeckt, der nur mit groben Stichen entlang des Rands fixiert ist und am unteren Ende etwa 25 - 30 cm Überhang hat.

Beschreibung:

Der bekleidete Skelettheilige ist sitzend in einem frontal verglasten Holzschrein auf einem gepolsterten, vergoldeten Armlehnsessel aus Holz im Hochaltar ausgestellt. Von dem hölzernen Sitzmöbel sind nur die Füße, die vorderen Enden der Armlehnen und von der Rückseite her die Lehne sichtbar. Das übrige Gestell wird von dem weiten, dunkelroten und mit üppigen Ornamenten aus Goldfäden und Goldplätt bestickten Samtmantel verdeckt. Von der Rückseite ist zusätzlich ein Untergewand aus rötlichem Leinengewebe sichtbar.

Der innen mit neuerem Brokat-ähnlichem Stoff bespannte Schrein weist auf der linken und der rechten Seitenwand je ein Reliquientableau auf. Darauf sind Knochen in symmetrischer Anordnung aufgenäht und mit Drahtarbeiten, künstlichen Perlen und Glassteinen verziert. 

Vorzustand und Schäden:

Holzgehäuse

  • deutliche Verschmutzung der frontalen Verglasung des Schreins innen (Staub, Ruß und Schimmel) und außen (Ruß, Wachs- und Fliegenkotflecken)
  • starke Verschmutzung mit teils dickeren Staubauflagerungen in und am Gehäuse
  • deutliche Schmutzansammlungen, Spinnenweben, Fraßmehl und Reste der Elektroinstallation (Kabelstücke, Kabelklemmen, Schrauben, Glasbruch von Glühbirnen) auf dem Boden des Schreins sowie etliche Partikel von der Vergoldung des Thrones, Dekorelemente von Klosterarbeiten und tote Insekten
  • starke Staubauflagerungen und Schimmelmyzel an den Textilien der Schreinauskleidung
  • partielle Ablösungen sowie gelockerte Bereiche der Goldborten vom textilen Untergrund, ebenfalls Lockerungen an den aufgenähten Klosterarbeiten

Da das Innere derart starke Verschmutzungen aufweist, sollte ein Konzept entwickelt werden, das neben der Verminderung des Staubeintrags auch die Belüftung des Kastens in ausreichendem Maß berücksichtigt. Ansonsten könnte die Bildung eines schädigenden Mikroklimas und die erneute Ansammlung einer Staubschicht zur Ausbildung einer Schadstoff-Kompresse auf den Oberflächen führen, die einen weiteren Schimmelbefall und die beschleunigte Alterung der Materialkombinationen begünstigen könnten.

Klosterarbeiten im Schrein

  • starke Verschmutzung und Staubauflagerungen an den seitlich im Schrein montierten Klosterarbeiten (das rechte Tableau ist stärker verschmutzt als das linke)
  • ausgerissene Löcher und Rostspuren auf dem gelben Stoff der Tableaus von der Montierung mit Eisenschrauben
  • Lockerung und partielle Defekte der fixierenden Nähte des gelben Überstoffes und der Dekorelemente
  • am rechten Tableau fehlt unten links ein kleines Knochenstück, am linken sind die Klosterarbeiten teilweise weniger üppig gestaltet (->Diebstahl?, Verluste bei der Montage der Beleuchtung?)
  • teilweise Korrosionserscheinungen an den Metall-gefassten Glassteinen (Kupferkorrosion)
  • Sulfidbildung (Verschwärzung) auf silbernen Dekorelementen erkennbar
  • Deformationen und Lockerungen an etlichen Blättern und Blüten der Dekoration
  • teilweise Abhebungen und wenige Verluste am gelblichen Überzug der Knochen, dadurch Verstaubung der Watte darunter

Seliger Engelmar

  • starke Verstaubung aller Oberflächen, Schimmelmyzel auf vielen Teilen
  • Fraßmehl von holzzerstörenden Insekten unter dem Thron und im Saumbereich des Samtmantels (keine (!) Schädigung der geschnitzten Körperteile oder des hölzernen Throns)
  • teilweise Abhebungen und wenige Verluste am gelblichen Überzug der Knochen
  • Mittelfinger der rechten Hand angebrochen, frühere Reparatur am Zeigefinger erkennbar
  • Ausbesserungen an der Befestigung des Palmzweiges in der linken Hand
  • rechtes Bein im Kniegelenk gelöst (Dübel gebrochen), linkes Bein am Oberschenkelhals gelockert (Dübel intakt, Leimung versprödet)
  • zahlreiche, gelockerte Bereiche und Fehlstellen an der Vergoldung des Throns
  • diverse gelöste Zierelemente verursacht durch Korrosionsschäden und dem Brüchig-werden von Fäden (vor allem bei den Ketten aus künstlichen Perlen)

Textilien

  • starke Verstaubung aller Oberflächen
  • lose Fäden und offene Nähte an dem Samtmantel
  • ausgerissene Löcher an den Reliquientableaus
  • Ausbleichungen des Samtes
  • Schimmelmyzel

Schimmelpilzbefall

Die Bestimmung des Schimmelpilzes wurde durch das Labor der HAWK Hildesheim von Frau Prof. Karin Petersen durchgeführt. Am Leib des Engelmars liegen überwiegend Myzel und Sporen der Aspergillus glaucus-Gruppe und von Aspergillus restrictus vor, das sich bei Anzuchtversuchen aktivieren ließ und somit noch lebensfähig ist.

Maßnahmen:

Schimmelpilzbefall

Die vorausgegangene Laboruntersuchung der Myzelabstriche an der HAWK Hildesheim ergab, dass am Leib des Engelmars überwiegend Schimmelpilze der Aspergillus glaucus-Gruppe und von Aspergillus restrictus vorlagen, das sich bei Anzuchtversuchen aktivieren ließ und somit noch lebensfähig war. Die geplante Begasung sollte daher möglichst zu einer Abtötung von Myzel und Sporen führen, ohne jedoch die zahlreichen, unterschiedlichen Materialien, die am Seligen Engelmar und der Schreinausstattung vorliegen, zu schädigen. Das in verschiedenen Veröffentlichungen empfohlene Parachlorometakresol (Preventol CMK, Fa. Lanxess), das auch trocken anzuwenden sein sollte (-> Materialschonung), wurde für die Behandlung ausgewählt.

Nach dem Bau eines gasdichten Klimazeltes um den Engelmar, die Reliquientableaus und die Schreinbespannungsstoffe (aus Ergoflexfolie, die doppelt gelegt und verschweißt), wurden mit gelöstem Biozid getränkte, aber danach 24 Stunden getrocknete Löschkartons in das Zelt eingelegt und die letzte Öffnung verschweißt.

Eine Sichtkontrolle des Leibes erfolgte nach ca. 14 Std. wobei keine Veränderungen bemerkt werden konnten. Die Gesamtdauer der Biozid-Behandlung betrug 14 Tage. Danach wurde das Zelt wieder geöffnet und die Löschkartons entfernt. Über die folgenden 5 Wochen konnten die Objekte auslüften.

Zu Beginn der Konservierungsarbeiten am Seligen Engelmar Ende Januar 2017 wurden 5 Abstriche mit sterilen Wattestäbchen von dem noch aufliegenden Schimmelmyzel an verschiedenen Stellen der Ausstattungsteile genommen und an das Mikrobiologische Labor der HAWK Hildesheim zur Aktivitätsanalyse geschickt. Bei 4 von 5 Abstrichen kam es bei der Kultivierung auf Nährböden erneut zum Wachstum von verschiedenen Schimmelpilzen, darunter erneut Aspergillus glaucus und restrictus. Weshalb die Abtötung der Schimmelpilze nur geringen Erfolg hatte, muss noch geklärt werden.

am Holzgehäuse

  • Entnahme des Skelettheiligen aus dem Gehäuse (Juli 2016)
  • Abnahme der textilen Wandbespannungen und Klosterarbeiten, zur Behandlung siehe unten
  • Trockenreinigung des Schrein-Inneren durch Absaugen, mit Pinseln und Latexschwämmchen, Feuchtdesinfektion mit 70%igem Alkohol
  • Feuchtreinigung der Glasscheibe 
  • Überprüfen der Staubdichtigkeit/Durchlüftung
  • Abbau der veralteten Beleuchtungsanlage
  • Montage der gereinigten Wandbespannungen (beide Seiten und Rückseite) auf unbehandelte Holzrahmen mit einer Zwischenbespannung aus Polyester-Vlies als Staubschutz und Puffer bei kurzzeitigen Klimaschwankungen
  • Anbringen des Deckenstoffs mit Zwischenlage aus Polyester-Vlies ohne zusätzlichen Holzrahmen
  • Anbringen der gereinigten, geflügelten Herzen an Haken in der Schreindecke

am Skelettheiligen

  • Absaugen des Staubes und Schimmelmyzels unter Zuhilfenahme von feinen, weichen Pinseln, Interdentalbürsten und kleinen Borstenpinseln
  • Reinigung der Klosterarbeiten durch Absaugen & partielle Feuchtreinigung der Drahtarbeiten  
  • Abnahme der gelösten Verschmutzungen mit saugfähigen, mikroporösen Schwämmchen
  • Fixierung loser Besätze: die gelockerten oder losen Drähte von Besätzen werden mit vernickeltem Eisendraht oder feinem Nylonfaden ohne Einsatz von Leimen wieder fixiert
  • als Ersatz von verlorengegangenen Harz-Wachs-Fixierungen z.B. zur Befestigung von gelösten Perlenketten auf den Knochen kommt ungefärbtes Klebewachs zum Einsatz
  • partielle Reduzierung von Metallkorrosion (mechanisch)
  • Rückformung deformierter Klosterarbeiten mit Pinzetten und kleinen Zangen
  • Neuverleimung der gelösten Beine und des angebrochenen Fingers der rechten Hand mit Glutinleim, zur Fixierung des rechten Beines ist ein Stück neuer Holzdübel in das Knie und von unten in den Oberschenkel eingelassen worden, so dass auf der Oberseite des Oberschenkels noch der alte Dübelkopf erhalten werden konnte
  • Niederleimen von aufstehenden Überzugsschollen an der linken Schädelseite und einzelnen Knochen auf den Reliquientableaus mit Hautleim-Lösung

an den Textilien (ausgeführt von Textilrestauratorin Christiane Ott-Berger)

  • Oberflächenreinigung durch Absaugen des lose aufliegenden Schmutzes
  • Abtrennen der losen Mantelärmel
  • Schließen offener Nähte/Vernähen loser Fäden
  • Reinigung der Goldstickerei auf Samt
  • Vernähen der gelösten Stickerei-Elemente und Sicherung der ausgerissenen Löcher an den Tableaus
  • Absaugen des Untergewandes in den zu erreichenden Bereichen
  • Annähen der Ärmel
  • Rückmontage des Mantels
  • Montage der Schreinbespannung und der Reliquientableaus auf mit Polyestervlies bespannte Nadelholzrahmen

am Thron

  • Sicherung der zahlreichen gelockerten Bereiche der Vergoldung durch Festigung mit Hautleim und Hinterfüllung von Hohlräumen mit einer Kreide-Hautleim-Mischung 
  • Aufkitten von Fehlstellen in der Vergoldung mit Kreidegrund
  • Eintönen der Kreidefugen und Kittungen mit Aquarellfarbe
  • Oberflächenreinigung nach der Festigung
  • Nachreinigung der Polsterstoffe (Absaugen)
 

 

Engelmar VZ Ges VS 1

Der sel. Engelmar vor der Konservierung, aber nach der Begasung mit Preventol CMK.

 

 

Der sel. Engelmar im Endzustand vor der Einsetzung in den Schrein im Hochaltar.